von Fredy Künzler

Lesezeit: 7 Minuten

Der Internet-Vorleistungsmarkt der Schweiz

Die meisten Menschen in der Schweiz kaufen ein Internet-Abonnement, ohne sich dabei Gedanken zu machen, wie dieses technisch aufgebaut ist. Alles was zählt, ist eine schnelle Glasfaser, ein durchschnittliches TV-Kabel oder – falls nichts Besseres verfügbar ist – eine langsame Kupferleitung. Doch dies ist – wie so oft im Leben – keine ideale Entscheidungsgrundlage.

OSI Layer 1

Bei der Analyse des Internet-Vorleistungsmarkt hilft, wie bei vielen Aspekten der Internet-Industrie, eine Abstraktion auf das OSI Modell. Beginnen wir mit dem OSI Layer 1. In den meisten Häusern der Schweiz gibt es zwei herkömmliche beziehungsweise historische Kabelarten: Das Zweidraht-Kupferkabel für die Telefonie und das Fernsehkabel. Letzteres ist ein Koaxialkabel und kann aufgrund seiner physikalischen Beschaffenheit viel höhere Frequenzen übertragen als das Telefonkabel, das aus einem verdrillten Kupferaderpaar besteht. Höhere Frequenz bedeutet grössere Datenrate. Daher ist die Faustregel «TV-Kabel ist besser als Kupferkabel» grundsätzlich korrekt.

Die angeschlossene Elektronik hat in den letzten 25 Jahren selbstverständlich einen grossen Sprung gemacht. Heute sind auf dem TV-Kabel bis zu 10 Gbit/s möglich (DOCSIS 4.0-Standard), während das Kupferkabel nur maximal etwa 500 Mbit/s ermöglicht. Die zweitgrösste Schweizer Breitband-Anbieterin verkauft ihre Kabelanschlüsse heute mit einer Bandbreite von 2,5 Gbit/s und suggeriert damit eine klare Überlegenheit gegenüber Kupferanschlüssen.

Jedoch, was kein Provider offen sagt: Beim Kabelnetz stehen die 2,5 Gbit/s allen Kunden im selben Node (Knotenpunkt) gemeinsam zur Verfügung. Dies kann beispielsweise ein Street Cabinet sein, wo das Fernseh- und das Internet-Signal in einem Quartier verteilt wird. Je nach Anzahl Kunden im Node und deren Nutzungsverhalten ist die tatsächlich gelieferte Bandbreite viel tiefer. Deshalb schreiben alle Provider neben der beworbenen nominalen Bandbreite auch stets «bis zu» dazu. Das TV-Kabelnetz entspricht deshalb grundsätzlich einer Point-zu-Multipoint (P2MP) Netztopologie, diese ist historisch bedingt, wurde das Koaxialkabel ja ursprünglich zur Verteilung des Einweg-TV-Signals gebaut.

Quelle: Init7

Im Gegensatz dazu verwendet DSL (Digital Subscriber Line) auf Kupferkabel eine Point-to-Point (P2P)-Topologie. Die nominalen maximalen 500 Mbit/s stehen exklusiv für den jeweiligen Kunden bis zur Zentrale zur Verfügung. Abhängig vom Überbuchungsfaktor (Overbooking) können nominale 500 Mbit/s somit in der Praxis «mehr» sein als 2,5 Gbit/s im Kabelnetz. Sollte ein TV-Kabelnetz überlastet sein, müsste der Provider den Node aufteilen und die Kunden neu verteilen. Dies ist jedoch kostenintensiv, und einige Provider haben in der Vergangenheit (zu) lange gezögert, notwendige Investitionen zu tätigen, was zu Qualitätsproblemen geführt hat. Ein TV-Netz zu betreiben ist zudem anspruchsvoll und damit vergleichsweise teuer.

Deshalb setzt man in der Schweiz vielerorts auf Glasfaser, selbstverständlich nicht nur aus Marketinggründen. Glasfaser ist nicht nur viel schneller, sondern auch Energie-effizienter, wartungsarm und langlebig. Die Investition zahlt sich daher langfristig aus. Auch im Glasfasernetz gab es eine Diskussion über die korrekte Netztopologie – also P2MP gegen P2P. Diese Debatte gipfelte in der Schweiz im sogenannten «Glasfaserstreit», einem aufsehenerregenden Kartellrechtsverfahren, das dazu führte, dass P2MP für die Ex-Monopolistin verboten wurde.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der OSI Layer 1 auch über Richt- oder Mobilfunk erfolgen kann. In diesem Blog-Text konzentrieren wir uns allerdings auf den kabelgebundenen Vorleistungsmarkt.

OSI Layer 2

Betrachtet man den OSI Layer 2, sieht die Situation anders aus. Für das Kupferkabel kommen auf der Seite des Providers sogenannte DSLAM (Digital Subscriber Line Access Multiplexer) zur Anwendung. Beim TV-Kabel ist es ein CMTS (Cable Modem Termination System), das die Kundenanschlüsse aggregiert. Bei Glasfaser verwenden die meisten Provider ein OLT (Optical Line Terminal), die verwendete Technologie nennt man XGS-PON (X = 10, G = Gigabit, S = symmetrisch, PON = Passiv Optical Network). XGS-PON? Hier wird doch die P2MP Netztopologie verwendet und diese wurde doch von der Wettbewerbskommission im Glasfaserstreit verboten?

Tatsächlich ermöglicht die legale P2P Netztopologie auch P2MP, indem die notwendigen Splitter in der Zentrale installiert werden. Weil XGS-PON günstiger pro Kundenanschluss ist, setzen viele Provider auf diese Technologie. Init7 und ein paar wenige andere Provider hingegen verwenden Ethernet – mehr dazu in unserem Blog-Text zu Overbooking.

Vorleistungsprodukte für Provider

Je nach Technologie, also DSL, Kabel oder Glasfaser sind die verfügbaren Vorleistungsprodukte unterschiedlich, sofern überhaupt welche angeboten werden. Koaxialkabel-Dienste können in der Schweiz jeweils nur von einem Provider bezogen werden. Platzhirsch ist Sunrise, seitdem die frühere UPC fusioniert wurde. Je nach Region ist Quickline mit ihren Partnern verfügbar, in der Romandie betreibt Netplus viele Kabelnetze. All diese Netze haben gemeinsam, dass sie keine Wholesale-Angebote bereitstellen. Es ist also für alternative Provider nicht möglich, Kabelnetzinfrastrukturen mitnutzen zu können.

Layer-2 Vorleistung: BBCS

DSL hingegen, also Anschlüsse auf dem Telefonnetz, können überall als Wiederverkaufsprodukt relativ einfach bezogen werden. Das Angebot des Incumbents nennt sich BBCS (Broadband Connectivity Service) und kann auch für Glasfaseranschlüsse genutzt werden (BBCS-F). Aus Providersicht handelt es sich um ein Layer-2 Vorleistungsprodukt, obwohl es strenggenommen eigentlich auf Layer-3 basiert. BBCS stellt dem Provider (FDA, Fernmeldedienstanbieterin) eine Verbindung zwischen dem Endkundenanschluss und einem beziehungsweise zwei redundanten Übergabepunkten her, die alle Endkundenanschlüsse aggregieren.

Quelle: Swisscom

Der Vorteil des Providers: Er kann Endkunden in der ganzen Schweiz mit relativ geringen Investitionen anschliessen. Der Nachteil: Die ganze Technologie wird vorgegeben. Der Provider ist nur Wiederverkäufer vorgefertigter Breitbandprofile und kann wenig selbst bestimmen. Innovation ist unmöglich.

Anbieter, die BBCS nutzen sind unter anderem green.ch oder iWay, nebst den Endkundenanschlüssen der Ex-Monopolistin samt ihrer Zweitmarken Wingo und M-Budget. Init7 nutzt BBCS ebenfalls für Anschlüsse auf Kupferleitung (Copper7) und Glasfaser, die noch nicht durch Fiber7-Pops abgedeckt sind (Hybrid7).

Ein weiteres Vorleistungsprodukt auf Layer-2 nennt sich «LiteXchange» der Firma Litecom, das aber eine vergleichsweise geringe Abdeckung aufweist und nur regional verfügbar ist. Das Produkt von Init7 auf dieser Plattform nennt sich Crossover7.

Ausserdem bieten einige Stadtwerke ein eigenes Layer-2 Vorleistungsprodukt an. In Zürich beispielsweise wird es als «Zürinet» verkauft; genutzt wird dieses auch als FCS (Fiber Connectivity Service) bezeichnete Vorleistungsprodukt unter anderem von GGA Maur. Auch hier: Vorgefertigte Anschlüsse mit unterschiedlichem Etikett. Allerdings ist ewz – Elektrizitätswerk der Stadt Zürich nicht transparent gegenüber den Endkunden und deklariert nicht, welche Provider Layer-2 und welche Layer-1 beziehen.

Layer-1 Vorleistung: ALO und FLL

Will ein Provider von den verfügbaren Vorleistungsangeboten unabhängiger sein und eigene Entscheidungen bezüglich Technologie und Angeboten treffen, braucht es viel mehr Investitionen und Knowhow als bei reinem BBCS-Reselling. Die Layer-1 Vorleistungen der Ex-Monopolistin nennt sich ALO (Access Line Optical), jene der Stadtwerke wird FLL (Fiber Local Loop) genannt. Aus technischer Sicht sind ALO und FLL absolut identisch, es handelt sich um eine durchgängige Glasfaser vom Anschluss beim Endkunden (OTO, Optical Termination Outlet) bis zur jeweiligen Zentrale.

Quelle: Swisscom

Der Provider (FDA) muss sein eigenes Equipment in der Zentrale installieren. Das ist zwar aufwändig und kostspielig, aber garantiert maximale Flexibilität bei Technologie und Produktgestaltung für die Endkunden. Init7 hat schweizweit bereits über 330 PoPs in Betrieb (Stand: Januar 2025). Alle Glasfaseranschlüsse in den jeweiligen Einzugsgebieten können deshalb von Fiber7, Easy7 und Ethernet7 profitieren – ersteres bekanntlich mit der Bandbreite von 25 Gbit/s. Mit den herkömmlichen Vorleistungsangeboten auf Layer-2, namentlich BBCS, wäre dies nicht möglich. Auch andere Provider wie Salt und Sunrise setzen auf ALO und FLL als Vorleistung. Bei grossen Volumen beziehungsweise vielen Kunden ist die Rentabilität längerfristig betrachtet wesentlich besser, wenn ein Provider auf Layer-1 setzt. Tatsächlich werden Layer-2-Vorleistungsprodukte vielerorts subventioniert; die Provider, die nicht in eigene Elektronik in den Zentralen investieren, zahlen nicht kostendeckende Preise für den Layer-2, insbesondere bei Stadtwerken.

Fazit:

Die Wahl des richtigen Internetabos ist meistens getrieben durch die nominale Bandbreite und den Preis. Doch eine glänzende Verpackung oder ein Schnäppchendeal ist selten eine nachhaltige Wahl, denn nicht nur das verwendete Vorleistungsprodukt ist entscheidend für die Qualität und das Benutzererlebnis, sondern insbesondere auch das Overbooking auf Layer 2 und und die Steuerung des Datenverkehrs (Layer 3).