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03.09.2024
zuletzt aktualisiert am 05.09.2024

von Fredy Künzler

Lesezeit: 5 Minuten

Overbooking – wie Provider die Bandbreite aufteilen

Die meisten Provider bewerben ihre Internet-Abonnements mit der maximal verfügbaren Bandbreite – nebst des Preises. Diese beiden Parameter sind für Kunden einfach vergleichbar und häufig das ausschlaggebende Kriterium bei der Wahl.

Früher, als es noch keine Glasfaser gab, wurden Internetanschlüsse mittels zwei konkurrierender Technologien gebaut: Einerseits DSL (Digital Subscriber Line) mit verschiedenen Ausprägungen (ADSL, VDSL, g.Fast) auf dem Zweidraht-Kupferkabel der herkömmlichen Telefonie und andererseits Kabel-Internet auf dem Koaxialkabel, das fürs Kabelfernsehen verwendet wurde. Beide Technologien haben gemeinsam, dass die übertragbaren Frequenzen auf dem jeweiligen Kabel physikalisch beschränkt sind, was die erreichbare Bandbreite limitiert.

Asymmetrie

Da die meisten Privatkunden mehr Bandbreite beim Download als beim Upload benötigen, wurden die verfügbaren Frequenzen entsprechend eingeteilt, was in Asymmetrie resultiert: 100/20 Mbit/s bei DSL offeriert 100 Mbit/s Bandbreite beim Download aber nur 20 Mbit/s Bandbreite beim Upload. Bei Kabel-Internet besteht die Einschränkung ebenfalls, indes ist die erreichbare Bandbreite bei Kabel grösser. Der in der Schweiz gebräuchliche Standard DOCSIS 3.1 könnte theoretisch 10/1 Gbit/s erreichen, während bei der aktuell verwendeten DSL-Technologie bei 500 Mbit/s Schluss ist.

Im Gegensatz zu Kabel und DSL kennt Glasfaser keine Limite. So verwundert es nicht, dass fast alle Netzbetreiber auf Glasfaser setzen und neuere Kabel-Technologien wie DOCSIS 4.0 oder 4.1 links liegen lassen. Ein Glasfasernetz ist viel einfacher zu betreiben und verbraucht auch weniger Strom, was langfristig natürlich viel wirtschaftlicher ist, auch wenn der Bau von Glasfaser hohe Investitionen erfordert.

Netztopologien

Während das DSL-Netz eine P2P (Point-to-Point) Netztopologie aufweist, sind Kabel-TV-Netze als P2MP (Point-to-Multipoint) aufgebaut (siehe Blog-Eintrag «Unterschied P2P vs. P2MP»). DSL-Kunden haben ihre eigene private Leitung bis zum DSLAM (Digital Subscriber Line Access Multiplexer, das Gerät des Providers in der Zentrale), das die DSL-Leitungen aggregiert.

In der Kabelwelt nennt man das entsprechende Gerät CMTS (Cable Modem Termination System). Dieses versorgt auf einem gemeinsamen Koaxialkabel-Baum alle Kabelmodems im Gebäude, in der Nachbarschaft oder auch im ganzen Quartier und befinden sich häufig in Street-Cabinets.

Quelle: Init7

Die technisch verfügbare Bandbreite auf dem Koaxialkabel wird auf alle angeschlossenen Kunden aufgeteilt. Da CMTS teuer in der Anschaffung sind, haben manche Kabel-Internet-Provider eigentlich zu viele Kunden an ein CMTS angeschlossen und das Netz damit überbucht. Erst wenn es Reklamationen hagelt, wird ein zweites CMTS installiert.

Aus dieser Tradition kommen auch die zwei vorherrschenden Glasfaser-Netztopologien. Während die früheren «Telefönler» in einem P2P Point-to-Point Schema (auch AON Active Optical Networking) dachten, waren die «Käbeler» mit einem P2MP Point-to-Multipoint Konzept unterwegs (PON Passive Optical Networking). Über diese beiden Netztopologien wurde in den letzten Jahren viel gestritten. Eine P2MP-Netztopologie kann auf einer P2P-Netztopologie abgebildet werden, nicht aber umgekehrt. Für die volle Freiheit der Provider bezüglich der eingesetzten Elektronik braucht es eine P2P-Netztopologie, die dank des sogenannten Glasfaserstreits gesichert werden konnte (siehe Blog-Eintrag «Die «Glasfaserstreit» Geschichte)».

XGS-PON: Der Quasi-Standard

Die meisten Provider in der Schweiz setzen heute auf XGS-PON. Diese basiert – wie es der Name vermuten lässt – auf der PON Topologie und unterstützt 10 (X) Gigabit (G) symmetrische (S) Bandbreite. Diese Bandbreite wird durch einen optischen Splitter auf 2 bis 128 Kunden aufgeteilt. Die meisten Provider in der Schweiz verwenden 32er-Splitter. Das bedeutet, dass die nominale Bandbreite von 10 Gbit/s auf 32 Kunden aufgeteilt wird.

Das Gerät, das in der Zentrale zur Aggregation der Kundenanschlüsse eingesetzt wird, nennt man OLT (Optical Line Termination). Verschiedene Hersteller verkaufen OLT für XGS-PON; ein Gerät, das von verschiedenen Providern häufig eingesetzt wird, ist das Nokia 7360 ISAM FX-8:

Nokia 7360 ISAM FX-8 Quelle: www.xponshop.com

Es besteht aus einer oder zwei (Redundanz) Supervisor-Karten mit jeweils 4 mal 10Gbit/s Ethernet-Uplink; sowie 8 Einschüben, in denen die XGS-PON-Linecards installiert werden. Jede Linecard hat 16 Anschlüsse à 10 Gbit/s, die jeweils einen Splitter bedienen können.

Bei voller Bestückung lassen sich mit dem Nokia 7360 ISAM FX-8 insgesamt maximal 4096 Kundenanschlüsse versorgen. Dies errechnet sich aus 8 (Linecards) mal 16 (Anschlüsse) mal 32 Kunden pro Splitter = 4096. Die verfügbare maximale Bandbreite einer Supervisor-Karte beträgt 4x 10 Gbits/, also 40 Gbit/s (brutto), netto sind es 32 Gbit/s bei voller Auslastung. Nominal betrachtet bleiben dabei pro Kunde noch etwa 7,8 Mbit/s (Megabit!) Bandbreite. Tatsächlich angepriesen wird das Internet-Abonnement aber mit 10 Gigabit pro Sekunde.

Overbooking

Diese Vorgehensweise nennt sich «Overbooking».

Im Vergleich steht Ethernet auf P2P-Netztopologie besser da: Ein Switch C9500-48Y4C der Marke Cisco hat 48 Ports für Kundenanschlüsse (1, 10 oder 25 Gbit/s) und 4 Uplink-Ports mit jeweils 100Gbits/, wovon allerdings je nach Konfiguration nur einer gezählt werden kann. Die Bandbreite pro Kunde errechnet sich wie folgt:
80Gbit/s Uplink (netto) dividiert durch 48 Kunden = 1,66 Gbit/s pro Kunde. Nominal verkauft wird je nach Bestückung der Optik 1, 10 oder 25Gbit/s. Der nominale Überbuchungsfaktor ist also bei einer P2P-Netztopologie wesentlich niedriger als bei P2MP. Dies war bereits beim herkömmlichen Telefonnetz im Vergleich zum Kabelnetz der Fall.

SmokePing ist ein Tool, das Overbooking visualisieren kann. Man misst die Latenz (Ping) zu einem Ziel. Ist zu wenig Bandbreiten-Kapazität vorhanden, steigt Latenz und Packetloss massiv an. Die Beispiel-Grafik zeigt sehr starkes Overbooking tagsüber; die Bandbreite reicht nur in den Nachtstunden. https://oss.oetiker.ch/smokeping/

Das Geschäft des Internet-Providers

Ist Überbuchung legitim? Grundsätzlich ja, das Geschäft jedes Internet-Providers funktioniert so: Man kumuliert den Bedarf an Bandbreite aller Kunden und produziert die dafür notwendige Kapazität. Selbstverständlich betrachtet ein Provider einen OLT oder einen Switch nicht separat, sondern summiert alle Geräte und aggregiert den Traffic im Backbone. Dazu werden mittels Telemetrie laufend Traffic und andere Parameter ausgewertet und bei Anomalien alarmiert. Das konsumierte Datenvolumen wird gemessen, die Kapazitäten müssen laufend dem Konsum angepasst werden. Es sind also periodische Upgrades notwendig. Indes, wann diese Upgrades tatsächlich erfolgen, kann je nach Selbstverständnis, Renditeerwartungen, Peering-Politik (siehe Blog-Eintrag «Kartelle im Internet») oder persönlichem Gusto des Netzwerkarchitekten variieren. Eine sarkastische Empfehlung in der Industrie besagt: «Lege die Kapazität so aus, dass kein Kunde sich jemals veranlasst fühlt, den Support anzurufen und sich über sein langsames Internet zu beschweren».

Overbooking zu Lasten der Qualität

Overbooking ist also dehnbar. Verkauft wird (nominale) Bandbreite X zu Preis Y pro Monat. Das ist, wofür der Kunde unterschreibt. Dass manche Provider ihre vorhandene Kapazität viel zu stark überbuchen, merkt man als Kunde erst, wenn man sich für ein oder zwei Jahre vertraglich gebunden hat, aber die verkaufte Bandbreite nur morgens um 4 Uhr erreicht, wenn die meisten anderen Kunden schlafen. Während der Primetime am Sonntagabend um 20:30 Uhr hingegen ruckelt der Netflix-Stream, das Shooter-Game laggt und das Update der Apps auf dem Mobiltelefon dauert ewig. Wenn das so ist, dann hat der Provider zu stark überbucht *), aber Geld gespart, zu Lasten der Qualität des Nutzer-Erlebnisses.

*) PS: Die meisten Reklamationen über «das langsame Internet» sind mangelnder WiFi-Qualität geschuldet. Bauliche Gegebenheiten schränken häufig das WiFi-Signal ein, deshalb müssen verlässliche Speed-Tests stets mit einem Ethernet-Kabel erfolgen. Hier erklären wir, wie Sie den Speed ihres Anschlusses überprüfen.