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22.12.2021
zuletzt aktualisiert am 06.03.2024

GT12: Gemeiner Tarif 12?

Replay TV wird ab 2022 massiv teurer. Dies liegt daran, dass die TV-Sender für das Überspringen resp. Überspulen von Werbung eine höhere Gebühr durchsetzen konnten. Neu kostet Replay TV CHF 7.00 pro Endnutzer und Monat, was einer Erhöhung von 250 % entspricht. Die Gebühr ist im sogenannten Gemeinsamen Tarif 12 (GT12) geregelt und in vielerlei Hinsicht fragwürdig.

In Kürze

Die sogenannten Gemeinsamen Tarife regeln die Urheberrechtsgebühren, die für Werke mit individuellem Charakter wie Filme, Texte, Musik usw. zu entrichten sind. Der Gemeinsame Tarif 12 (GT12) befasst sich dabei mit den Gebühren für zeitversetztes Fernsehen (Replay TV).

Neu schreibt der GT12 eine Gebühr für das Überspringen resp. Überspulen von Werbung im Replay TV vor. Werden unüberspringbare Werbespots (ähnlich wie bei YouTube) eingebaut, reduziert sich die Gebühr. Die Einnahmen aus dem GT12 fliessen jedoch nicht an Urheber wie Produzenten oder Drehbuchautoren, sondern an die TV-Sender – sozusagen als Entschädigung für tiefere Werbeeinnahmen. Denn die Preise für TV-Werbung sinken, wenn weniger Menschen die Spots schauen und Werbeblöcke mehr und mehr übersprungen resp. überspult werden.

Der GT12 ist insbesondere aus vier Gründen störend:

  • Erstens gelten Aufnahmen im Rahmen von Replay TV in der Schweiz als Privatkopie. Und auf Privatkopien sollte man Werbung überspulen können, ohne dafür zu bezahlen.
  • Zweitens regelt der Gemeinsame Tarif Urheberrechtsgebühren. Die Entschädigung für tiefere Werbeeinnahmen und die Subvention des maroden Geschäftsmodells der TV-Sender haben nichts mit Urheberrechten zu tun.
  • Drittens fliessen die Gebühren des GT12 auch an TV-Sender, deren Geschäftsmodell nicht vorwiegend auf Werbeeinnahmen basiert.
  • Und viertens ist die technische Umsetzung des neuen GT12 äusserst komplex und stellt die Weiterverbreiter vor technische und finanzielle Herausforderungen.

Gemeinsame Tarife regeln Urheberrechtsgebühren

Werke mit individuellem Charakter wie Filme, Radiosendungen, Lieder, Texte, Bilder usw. sind urheberrechtlich geschützt. Das heisst, die Urheber dieser Werke haben Anspruch auf eine Entschädigung, wenn die Werke von anderen genutzt, vervielfältigt, verbreitet oder dargeboten werden. Bei Filmen und Fernsehsendungen sind eine Unzahl an Urhebern involviert. Dazu zählen u.a. Produzenten, Drehbuchautoren und Sprecher.

Die Höhe der Urheberrechtsgebühren wird von Verwertungsgesellschaften in sogenannten Gemeinsamen Tarifen festgelegt. Es gibt verschiedene Gemeinsame Tarife, z. B. für literarische, musikalische oder audiovisuelle Werke. Die Verwertungsgesellschaften kassieren die Gebühren ein und leiten die Entschädigungen an die Begünstigten weiter.

Detaillierte Informationen zu Urheberrechtsgebühren und den Gemeinsamen Tarifen liefert dieser Artikel.

Der GT12 regelt Replay TV durch Weiterverbreiter

Was Fernsehprogramme betrifft, unterscheidet der Gemeinsame Tarif zwischen dem ursprünglichen Sendeunternehmen (TV-Sender) und sogenannten Weiterverbreitern (Anbieter von Kabel- resp. Internet-TV). Für Weiterverbreiter unterscheidet der Gemeinsame Tarif zwischen zeitgleichem, unverändertem Weiterverbreiten (lineares TV) und dem Angebot von Replay TV.

Der Gemeinsame Tarif 12 bezieht sich ausschliesslich auf das Angebot von Replay TV durch Weiterverbreiter. Sprich: Der GT12 betrifft TV-Anbieter wie Zattoo, Teleboy und Init7, die ihren Kunden zeitversetztes Fernsehen anbieten.

Wie die Entwicklung der Internet-Technologie den TV-Markt beeinflusste und zeitversetztes Fernsehen ermöglichte, lesen Sie in diesem Blog-Beitrag.

Bisheriger GT12: Entschädigung für zeitversetztes Fernsehen

Die im Replay TV verfügbaren Sendungen gelten in der Schweiz als Privatkopien, die von den Weiterverbreitern für den Endnutzer auf einer gemieteten Set-Top-Box oder in einer Cloud gespeichert werden. Der Endnutzer kann die Sendungen dann bei Bedarf abrufen.

Für derartige Sicherungen sieht das Gesetz eine Entschädigung durch den Endnutzer auf dem zur Verfügung gestellten Speicherplatz vor – ähnlich wie die Urheberrechtsgebühr, die beim Kauf von Leerträgern wie CD-ROMs, Festplatten etc. entrichtet werden muss.

Die Entschädigung für den Speicherplatz betrug im Jahr 2021 maximal CHF 2.00 pro Endnutzer und Monat. Die Höhe der Gebühr hängt u.a. davon ab, wie lange Sendungen gespeichert werden können und ob im Replay TV Vor- und Zurückspulen möglich ist.

Die Gelder aus dem GT12 fliessen jedoch nicht an Urheber wie Produzenten oder Autoren, sondern an die TV-Sender. Der bisherige GT12 entspricht folglich keiner Urheberrechtsgebühr, sondern einer an die TV-Sender zu zahlende Gebühr für zeitversetztes Fernsehen.

Gemeinsamer Tarif 12 bis Ende 2021; Quelle: SUISSIMAGE

Neuer GT12: Gebühr für werbefreies Fernsehen

Ab 2022 gilt ein neuer GT12. Dieser unterscheidet zwischen drei verschiedenen Arten von Replay TV.

  • Klassisches Replay TV mit Vor- und Zurückspulen und gezieltem Überspringen von Werbeblöcken (Ad Skipping): Neu ist für klassisches Replay TV eine monatliche Gebühr von CHF 7.00 (resp. CHF 8.00 ab 2026) zu entrichten. Im Vergleich zur bisherigen maximalen Gebühr für Replay TV von CHF 2.00 entspricht dies einer Erhöhung von 250 %.
  • Replay TV, das zwar Spulen und das Überspringen von Werbeblöcken erlaubt, das jedoch beim Start und zwischendrin unüberspringbare Werbespots zeigt (ähnlich wie YouTube): CHF 2.00 pro Endnutzer und Monat.
  • Replay TV ohne Spulfunktion, ohne Ad Skipping und ohne unüberspringbare Werbung: Replay TV ohne Zusatzfunktionen kostet neu CHF 1.50 (7 Tage) resp. CHF 1.04 (30 Stunden) pro Endnutzer und Monat.

Die Höhe der Tarife hängt in erster Linie davon ab, ob Werbung überspult oder übersprungen werden kann. In der Tat verlieren TV-Sender durch überspulte oder übersprungene Werbeblöcke wichtige Einnahmen: Da weniger Menschen die Werbespots schauen, sind die TV-Sender gezwungen, die Werbezeiten zu tieferen Tarifen anzubieten, als dies vor der Verbreitung von Replay TV der Fall war. Insbesondere für nicht konzessionierte Privatsender, die keine Gelder aus der Medienabgabe erhalten und sich vorwiegend über Werbung finanzieren, ist dies problematisch.

Auch der neue GT12 fliesst vollumfänglich an die TV-Sender und nicht an die Urheber. Somit entspricht der neue GT12 keiner Urheberrechtsgebühr, sondern einer Gebühr für werbefreies (resp. werbearmes) Fernsehen.

Gemeinsamer Tarif 12 ab 2022; Quelle: SUISSIMAGE

Subventionen unter dem Deckmantel des Urheberrechts

Mit dem neuen GT12 werden also TV-Sender für entgangene Werbeeinnahmen entschädigt. Dies ist insbesondere insofern problematisch, als die Aufnahmen im Rahmen von Replay TV auf dem Eigentums- und nicht auf dem Urheberrecht basieren. Replay-Sicherungen gelten als Privatkopien und sollten daher gleich behandelt werden wie selbst angefertigte Privatkopien (z. B. auf DVD). Eine Privatkopie ist persönliches Eigentum und niemand sollte auf persönlichem Eigentum Werbung schauen müssen resp. Werbung nur gegen Bezahlung umgehen können. Es kann nicht sein, dass die Endkunden mit ihren Abgaben das marode Geschäftsmodell der TV-Sender substituieren müssen.

GT12 ist eine Medienabgabe

Wie die Einnahmen aus dem GT12 unter den Sendern genau aufgeteilt werden, ist nicht klar. Klar ist jedoch, dass auch die SRG einen Teil der Gebühren erhält, obwohl ihr Geschäftsmodell nicht vorwiegend auf Werbeeinnahmen beruht. Die SRG sendet kaum Unterbrecherwerbung und ist von den Auswirkungen des Replay TV wohl wenig betroffen. Unter dem Strich ist der GT12 also nichts anderes als eine weitere Medienabgabe zulasten der Konsumenten.

GT12 ist technologisch komplex

Bei der Ausarbeitung des neuen GT12 waren nebst den Verwertungsgesellschaften auch die Nutzerverbände Suissedigital und Swissstream involviert. Im Zuge der Tarifverhandlungen haben die Nutzerverbände, getrieben von den grossen TV-Weiterverbreitern, nach neuen Werbeformaten im Replay TV gesucht und die oben genannten Optionen (kein Spulen und normale Werbung, unüberspringbare Werbung oder gar keine Werbung) vereinbart.

Mit Blick auf die Tarife wird wohl für viele Endkunden die Option mit unüberspringbarer Werbung attraktiv sein. Dazu müssen die Weiterverbreiter sogenannte Zeitmarker implementieren, die von den TV-Sendern mit Werbung bespielt werden können. Dies ist technologisch sehr aufwändig und alles andere als leicht umsetzbar. Für manche Weiterverbreiter lohnt sich die Investition in diese Lösung schlicht nicht.

Init7 und der GT12

Mit dem neuen GT12 können wir unseren Kunden leider kein kostenloses Replay TV mehr anbieten. Und wir möchten es vermeiden, allen unseren Kunden pauschal mehr zu verrechnen und den Medienkonsum mit der Quasi-Steuer GT12 zu verteuern. Init7-Kunden haben neu die Möglichkeit, Replay TV gegen einen monatlichen Aufpreis zu aktivieren. TV7 ohne Replay TV bleibt weiterhin im Abo-Preis inbegriffen.

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