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14.06.2024
zuletzt aktualisiert am 18.06.2024

von Fredy Künzler

Lesezeit: 7 Minuten

Wenn die Nachbarn früher jubeln: Die Fussball-TV-Hölle

Alle zwei Jahre findet alternierend die Fussball-Europa- oder Weltmeisterschaft statt. In gleicher Regelmässigkeit stellen sich zahllose Fans die Frage, weshalb die Pushmeldung auf dem Handy ein Tor der Schweizer Nationalmannschaft piepst, obwohl man es im Fernsehen noch gar nicht gesehen hat. Noch schlimmer: Auch diesen Sommer nervt es, wenn die Nachbarn bei jeder brenzligen Szene 30 Sekunden früher jubeln oder stöhnen!

„Was stimmt nicht mit meinem TV?“, denkt der Fan und stellt sein Mobiltelefon auf Flugmodus. Blöderweise lassen sich die Nachbarn nicht so einfach abstellen – die beste Methode ist vermutlich, mit einem Sixpack Bier in der Halbzeit bei den Nachbarn zu klingeln. Alternativ könnte man sich kurz mit der Technologie der Übertragung von Live-TV auseinandersetzen und die richtigen Schlüsse darausziehen.

7 Sekunden vom Stadion zum Fernseher

Vor einiger Zeit haben wir im Stadion Schützenwiese bei einem Spiel unseres Lieblingsclubs FC Winterthur gemessen, wie lange die Übertragung vom Geschehen im Stadion zum Fernseher dauert: Es sind 7 Sekunden.

Diese Zeit ist nötig für die Übertragung des TV-Signals der verschiedenen Kameras im Stadion zur Bildregie, für die Signalaufbereitung (Encoding), die Ausspielung an die Provider in den Datacentern (sogenanntes Playout) und die Übertragung durchs Providernetz zurück aufs WiFi im Stadion. Eigentlich sind 7 Sekunden sagenhaft wenig für die vielen benötigten Funktionen – aber tatsächlich genau die richtige Zeit, um nach dem Torjubel aufs Mobiltelefon zu gucken und das Tor aus verschiedenen Winkeln nochmals anzuschauen. Mancher Sofa-Fussballfan merkt nämlich erst beim ersten Stadionbesuch, dass es beim Live-Spiel kein Replay gibt.

Die Übertragungsmethode «Multicast» (vgl. Blog-Artikel «Broadcast, Unicast, Multicast und Anycast: Video-Übertragung im Internet» sowie unsere FAQ), die Fiber7-Kunden nutzen können, überträgt das TV-Signal also quasi Realtime mit bloss 7 Sekunden Verzögerung. Ungefähr gleich schnell ist die Signalübertragung via Satellit (DVB-S) oder TV-Kabel (DVB-C). Herkömmliches lineares Kabelfernsehen ist also eigentlich das Mass der Dinge in Sachen Torjubel. Die Nachbarn, auf deren Sofa man sich mit einem Kasten Bier einen temporären Platz erschleicht, dürften also mutmasslich noch herkömmlich via Koaxialkabel fernsehen.

OTT, IPTV, Unicast und HLS

Doch lineares Fernsehen ist rückläufig: Die Mehrheit der Schweizer Haushalte schaut heute per sogenanntem OTT (over the top) fern – es gibt dafür verschiedene Begriffe, die alle dasselbe meinen: Internetfernsehen, IPTV, Unicast oder HLS (HTTP Live Streaming). Die Methode: Das Multicast-TV-Signal wird in kurze Videodateien zerstückelt. Normalerweise haben diese eine Länge von 5 Sekunden. Diese werden aneinandergereiht und wie kurze YouTube-Filmchen von einem Server auf das Abspielgerät übertragen. So funktionieren nicht nur alle Videos auf Social Media wie TikTok, Instagram oder Facebook; auch das bekannte zeitversetzte Fernsehen (Zattoo, Teleboy, Swisscom TV aber auch die Play SRF App) sowie Video on Demand (Netflix & Co.) verwenden HLS als Streaming Methode. Die Produktion dieser 5-Sekunden-Video-Chunks bei Live-Übertragung benötigt ihre Zeit: Typischerweise mindestens 10 bis 15 Sekunden. Dazu kommt eine Sicherheitsmarge, die jeder OTT-Anbieter selbst einstellen kann. Ist nämlich die Qualität des Internetanschlusses oder des WLANs schlecht beziehungsweise zeitweise überlastet, können die Chunks nur unregelmässig übertragen werden und es kommt zum Datenstau. Pixelbrei, Artefakte oder schlechte Bildqualität des Videos sind die Folgen – man sieht es sofort.

Die Aufbereitung des Videosignals in HLS braucht also seine Zeit; ebenso die Bildkompression. Um Bandbreite zu sparen, werden die TV-Signale stark komprimiert. Ein unkomprimierter HD-Stream (720 Pixel) von SRF braucht etwa 10 Mbit/s Bandbreite; mit der entsprechenden Kompression kann man ihn auf 1,5 bis 3 Mbit/s zusammenquetschen. Kompression braucht Rechenleistung und Zeit: Eine qualitativ gute Kompression, die kaum sichtbar ist, benötigt länger. Zeit, die bei Live-TV nicht vorhanden ist. Provider, die Bandbreite sparen möchten, komprimieren stärker. Bei Init7 sind wir indes der Überzeugung, dass Kompression immer zu Lasten der Bildqualität geht und darum komprimieren wir TV7 überhaupt nicht, denn unsere Internetanschlüsse werden ja bekanntlich mit adäquater Kapazität ausgerüstet.

Eine Güterabwägung

Live-TV via Internet zu übertragen ist also eine Güterabwägung: Bessere Qualität und mehr Sicherheitsmarge – also Unempfindlichkeit gegen Übertragungsstörungen – braucht mehr Zeit. Zeit, die nicht vorhanden ist – denn die Nachbarn jubeln schon, und so viele Sixpacks wie es EM-Spiele gibt – nein, das schafft auch ein hartgesottener Fan nicht. Des Nachbarn Sofa ist also keine permanente Lösung.

HLS funktioniert providerübergreifend und auch in Mobilfunknetzen, während das schnelle Multicast auf das Netz des Providers beschränkt ist, sofern Multicast überhaupt zur Verfügung steht. Zudem ist Multicast besonders anfällig für Übertragungsstörungen. Deshalb auch die dringende Empfehlung, Multicast-Abspielgeräte unbedingt per Ethernet-Kabel anzuschliessen und niemals per WLAN zu gucken – die Freude daran hält sich meistens arg in Grenzen.

Bürokraten-TV

Neben Bildstörungen, Überlast im Netzwerk des Providers, den zu früh jubelnden Nachbarn, zu starker Bildkompression, lauwarmem Bier und dem Grottenkick der Schweizer Nationalmannschaft vergällt einem auch das Schweizer Fernsehen die Freude am ungetrübten TV-Fussball. Wie die Kollegen von moneyland.ch berichten, stellt SRF den meisten Providern nur mehr HD mit 720 Pixeln, aber nicht mehr Full HD mit 1080 Pixeln zur Verfügung. Grund dafür ist das sogenannte HBB-TV (Hybrid Broadcast Broadband TV) – ein TV-Standard, der Menschen mit Beeinträchtigungen zusätzliche Funktionen wie zum Beispiel Untertitelung, Audiodeskription und Gebärdensprache zur Verfügung stellt. Das ist zwar gut gemeint, allerdings hat sich der HBB-TV Standard nie durchgesetzt. Böse Zungen behaupten, dass SRF immer noch auf HBB-TV reiten wolle, aber noch nicht gemerkt habe, dass das HBB-TV-Pferd längst tot ist. Es gibt nämlich kaum HBB-TV kompatible Abspielgeräte oder Software. Die Bestimmungen von SRF sehen «die gesetzlich vorgesehene Signalintegrität» vor, ansonsten kriegt man als Provider das Full HD-Signal nicht mehr.

Do-it-Yourself-TV

Unsere TV7-Apps benutzen deshalb auch die normalen HD-Streams mit 720 Pixeln, egal ob man im Multicast- oder HLS-Modus schaut. Jedoch, und da unterscheidet sich Init7 von den meisten anderen Providern, steht das Full HD Signal mit 1080 Pixeln aller sieben Sender der SRG den Fiber7 Kunden trotzdem zur Verfügung, aber einfach ohne Abspielgerät oder -App. Wir übertragen das Signal genau so integral zum Endkunden, wie wir es aus dem Playout Center von SRF bekommen. Damit erfüllen wir die Bestimmungen. Mit welchem Abspielgerät letztlich geschaut wird, und ob dieses alle HBB-TV Möglichkeiten unterstützt, entscheidet allein der Endkunde. Also quasi DIY-TV, das in unserer FAQ beschrieben ist. Als Player kann zum Beispiel die Opensource Software VLC zum Einsatz kommen, die auf allen gängigen Plattformen (auch als Apple TV oder Android TV App) zur Verfügung steht.

Wichtig zu wissen: Nur die neuste Generation Apple TV, die man per Ethernetkabel mit dem Fiber7-Router verbindet (!), unterstützt den Encoding Standard H.265, der bei Full HD mit 1080 Pixeln von SRF verwendet wird. Ältere Geräte sind zu schwach für den H.265 Codec.

Es ist kompliziert

Fussball in Realtime und höchster Qualität gucken ist heutzutage leider kompliziert geworden. Technische und bürokratische Hindernisse gilt es zu überwinden oder die Nachbarn mit einem Sixpack zu bestechen. Und selbst dann ist noch nicht garantiert, dass die Schweizer Nati wirklich gut spielt. Die Alternative: Ein Besuch im Stadion, wenn man Tickets ergattern kann. Bei unserem Lieblingsclub FC Winterthur ist nämlich immer ausverkauft.