|
05.01.2024
zuletzt aktualisiert am 17.05.2024

Lesezeit: 13 Minuten

Die «Glasfaserstreit» Geschichte

Der sogenannte «Glasfaserstreit» ist ein wichtiger Kartellrechts-Fall in der Schweiz mit enormer volkswirtschaftlicher Bedeutung. Der Versuch der Swisscom, die zu bauende Glasfaser-Infrastruktur zu monopolisieren, konnte dank verschiedener Akteure mit dem Kartellgesetz verhindert werden. Wie es dazu kam und wohin die Glasfaser-Reise gehen wird, fassen wir in diesem Blog zusammen.

Die Telekom-Liberalisierung

Im Jahr 1998 begann die Telekom-Liberalisierung in der Schweiz, aus der einstigen PTT (Post Telefon Telegraf) entstanden Post und Swisscom; letztere ging in der Schweiz und in den USA an die Börse. Der Gesetzgeber jedoch liberalisierte nur halbherzig, weil der Bund die Aktienmehrheit der Swisscom behielt und auch heute noch hält (damals 2/3, heute noch 51%). Statt einer kompletten Trennung der Infrastruktur (Kupfernetz, Zentralen), die zu 100% beim Bund hätte verbleiben sollen, und des Endkundengeschäfts, das man ganz hätte privatisieren sollen, entschied Bundesbern, am Status quo und damit am Interessenkonflikt als Gesetzgeber, Telekom-Regulator und Mehrheitsaktionärs festzuhalten. Dieser Interessenkonflikt dauert bis heute an und ist massgeblich verantwortlich dafür, dass viele politische Fragen in der Telekom-Industrie ungelöst sind. Das Thema kommt immer wieder mal auf die politische Agenda; letztmals mit dem Postulat von Nationalrat Balthasar Glättli 2017.

ADSL wird populär

Etwa ab dem Jahr 2001 wurde in der Schweiz auf dem herkömmlichen Telefonienetz DSL (Digital Subscriber Line) hauptsächlich ADSL (Asymmetric DSL) für private Endkunden in grösserem Stil ausgerollt. Zugriff auf das Kupferkabel, die sogenannte TAL (Teilnehmeranschlussleitung) hatte allerdings nur die Ex-Monopolisitin Swisscom. Alle Mitbewerberinnen – in der Fach-Terminologie als FDA (Fernmeldedienstanbieterin) subsummiert, mussten sich als reine Wiederverkäuferinnen des Vorleistungsprodukts BBCS (Broadband Connectivity Service) am Markt zu behaupten versuchen, woran einige scheiterten. Callino, Riodata, Econophone, Tele2 oder Telefonica waren zu jener Zeit aktiv, sind aber alle als eigenständige Marken wieder verschwunden. Sie gingen Konkurs oder wurden von anderen Anbietern übernommen.

Problematisch am DSL-Reselling war insbesondere der Umstand, dass die Marktführerin sich der sogenannten «Margin Squeeze»- Methode bediente. Zwischen ihren eigenen Endkundenpreisen der Marke «Bluewin» und den BBCS-Vorleistungspreisen wurde zu wenig Marge offeriert, die den Mitbewerbern einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglicht hätte. Dieses Vorgehen nennt sich Kosten-Preis-Schere und ist gemäss Kartellrecht illegal. Sunrise als Wettbewerberin zeigte in der Folge Swisscom bei der Wettbewerbskommission an; das Verfahren zog sich allerdings sehr in die Länge, weil Swisscom alle Rekursinstanzen anrief. Das finale Urteil durch das Bundesgericht erfolgte erst 2020; Swisscom wurde letztinstanzlich zu einer Kartellrechtsbusse von 186 Millionen Franken verurteilt. Zudem verständigte sich Swisscom mit Sunrise aussergerichtlich zu einer Schadenersatzzahlung über mehrere hundert Millionen Franken; der genaue Betrag jedoch wurde nicht bekannt.

Die erste Fernmeldegesetzrevision

Mitte der Nullerjahre wurde es auch in Bundesbern klar, dass man für einen funktionierenden Telekom-Wettbewerb in der Schweiz nicht drum herumkommt, die Privilegien der Swisscom weiter zu beschneiden. 2007 trat das revidierte Fernmeldegesetz FMG in Kraft. Es sah insbesondere eine Regulierung der TAL, also der Kupferleitung von der Zentrale zum Endkunden vor. Damit wurde es Wettbewerbern von Swisscom möglich, eine eigene DSL-Infrastruktur in den Zentralen zu installieren und damit von Swisscom unabhängige ADSL-Angebote auf den Markt zu bringen. Swisscom jedoch tat alles dafür, den neu entstandenen Wettbewerb zu behindern: überhöhte Preise, komplizierte Prozesse, überlange Lieferzeiten – der Regulator ComCom und das BAKOM (Bundesamt für Kommunikation) hatten alle Hände voll zu tun, um Swisscom dazu zu zwingen, sich halbwegs kooperativ zu verhalten.

Die Doktrin des Infrastrukturwettbewerbs

In Bundesbern herrscht bis heute die Doktrin, dass der Telekom-Wettbewerb auf dem sogenannten Infrastrukturwettbewerb basieren müsse. In den Nullerjahren war das einigermassen plausibel, denn nebst dem herkömmlichen Kupfernetz der Telefonie gab es vielerorts ein Koaxialkabelnetz zur Verteilung des TV-Signals. Dieses wurde mit einem Rückkanal versehen und zunehmend auch für die Lieferung von Internetanschlüssen verwendet. Technisch ist das Koaxialkabel dem Kupferkabel überlegen, mit dem neuesten DOCSIS-Standard Version 4.0 wären bis zu 10 Gigabit/s Downstream-Geschwindigkeit auf Koax möglich. Die bekannteste Anbieterin mit einem Koax-Netz war die damalige Cablecom, die später unter dem Namen UPC operierte und 2020 mit Sunrise zur grössten alternativen Telekomanbieterin der Schweiz fusionierte. Fun Fact: Swisscom hielt vor über 20 Jahren ein Drittel der Cablecom-Aktien, musste diese aber aufgrund kartellrechtlicher Bedenken verkaufen.
Hatte der Infrastrukturwettbewerb in den Nullerjahren seine Berechtigung, ist er aus heutiger Sicht ziemlich aus der Zeit gefallen. Denn sowohl bei den «Käbelern» wie auch bei den «Telefönlern» baut man als Ersatz für das Koax- respektive Telefonnetz nur noch FTTH-Glasfaser (Fiber to the Home). Aus zwei Netzinfrastrukturen wird also eine. Indes träumt man im National- und Ständerat häufig noch dem längst vergangenen Infrastrukturwettbewerb nach und begründet damit politische Entscheide.

Glasfaser-Ausbau beginnt

Ab etwa 2006 begannen verschiedene Städte mit dem Ausbau von Glasfasernetzen, weil erkannt wurde, dass FTTH einen erheblichen Standortvorteil für eine Kommune darstellt. Städtische Energieversorger waren aufgrund der bestehenden Rohr-Infrastruktur zur Stromversorgung prädestiniert für die Verlegung von Glasfaserkabeln, denn Glasfaser ist im Vergleich zu Kupferkabeln unempfindlich gegenüber Störungen durch Magnetfelder. Glasfaserkabel können deshalb in den gleichen Schächten und Rohren wie Stromkabel liegen.

Teilweise wurden diese Grossprojekte in Volksabstimmungen genehmigt. In Zürich stimmte die Bevölkerung im Jahr 2007 zuerst einem Kredit in Höhe von 200 Millionen Franken zu; fünf Jahre später nochmals 400 Millionen. In Winterthur fand die Volksabstimmung vergleichsweise spät, nämlich erst im November 2012 statt. Dies erwies sich allerdings nicht als Nachteil: Ein schneller Rollout machte es wett. Winterthur verfügt aktuell mit 99% Abdeckung der Bevölkerung über eines der dichtesten FTTH-Netze der Schweiz.

Swisscom wollte natürlich nicht hintenanstehen und begann ihrerseits mit dem flächendeckenden Bau von FTTH-Infrastruktur. Um zu vermeiden, dass Gebäude doppelt erschlossen werden – durch den lokalen Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) und durch Swisscom – hat man sich rasch auf sogenannte Glasfaserkooperationen geeinigt. Dabei wurden üblicherweise die Quartiere in einer Stadt zwischen Swisscom und dem jeweiligen EVU aufgeteilt; je nach vorhandener Rohr-Infrastruktur, um den Ausbau möglichst effizient und kostengünstig durchführen zu können. Die Wettbewerbskommission musste aber eingreifen, denn die erste Version dieser Kooperationsverträge war kartellrechtswidrig. Die beiden Kooperationspartner sahen Klauseln vor, die ein Monopol respektive Duopol geschaffen hätte. Das Problem ist auch nach der seinerzeitigen WEKO-Grätsche nicht ganz vom Tisch: EVUs behaupten stets, sie stünden in ihrem Marktgebiet im harten FTTH-Wettbewerb mit Swisscom; tatsächlich befinden sie sich allerdings in einer ziemlich gemütlichen kollektiven Marktbeherrschung, bei der sich beide Player im Gleichtakt bewegen und sich kaum gegenseitig auf die Füsse treten.

Runder Tisch – Technische Standards und das 4-Faser-Modell

Das BAKOM verfolgte die Entwicklung intensiv und mit Sorge, denn es bestand die Gefahr, dass jeder Ersteller von Glasfaser sein eigenes Süppchen kochen würde. Insbesondere ewz, das EVU der Stadt Zürich, fühlte sich aufgrund der positiv ausgegangenen ersten Volksabstimmung legitimiert, das Netz rasch nach seinem Gusto auszubauen. Das BAKOM zitierte deshalb erstmals im Jahr 2008 alle Glasfaser-Stakeholder an den Runden Tisch nach Biel. In der Folge wurden in mehreren Arbeitsgruppen technische Standards und Regeln erarbeitet, wie die Glasfaser gebaut werden soll. Unter «sanftem» Druck willigten schliesslich alle «freiwillig» ein, sich an diese Selbstregulierung zu halten, die im Wesentlichen das Vier-Faser-Modell (jede Wohnung wird mit 4 Glasfasern erschlossen), einem einheitlichen Nummerierungsschema und die P2P Point-to-Point Netztopologie umfasste. In den meisten Kooperationsgebieten erhielten die Kooperationspartner jeweils eine Faser: Faser 1 für den EVU, Faser 2 für Swisscom; die Fasern 3 und 4 wurden fast überall als Reserve vorbehalten und nur von der OTO-Dose bis zum BEP (Building Entry Point) oder Drop gebaut. Die Leitung zur Zentrale (Feeder) wurde demnach nur für die Fasern 1 und 2 erstellt. Man spricht daher von einem 4-4-2 (Inhouse – Drop – Feeder) Ausbau; mancherorts erfolgte auch nur ein 4-4-1 Ausbau.

Der Erfolg des Runden Tischs

Dieser selbstregulierte Standard erweist sich retrospektiv betrachtet als grosser Erfolg, auch nachzulesen auf der BAKOM- Website. Jede FDA, also jeder Provider konnte in den Zentralen selber Elektronik installieren und bekam so den Zugang auf die Glasfaser direkt zum Endkunden. Dieses Modell, gemeinhin als Open Access bezeichnet, ermöglicht den maximalen Innovationswettbewerb. Technisch sind bereits heute Bandbreiten mit aktuell 100 Gigabit pro Sekunde möglich; ob diese kommerziell sinnvoll sind, kann man natürlich diskutieren. Das aktuell schnellste für Privatkunden erschwingliche Angebot umfasst 25 Gigabit pro Sekunde – es ist unser Fiber7- Produkt.

Die zweite Fernmeldegesetzrevision

Im Verlauf der Zehnerjahre wurde klar, dass das FMG erneut revidiert werden muss, insbesondere deshalb, weil die auf der TAL basierenden Angebote zunehmend nicht mehr konkurrenzfähig wurden, da die Leitungslänge des Kupferkabels die Bandbreite bestimmt. Je länger desto schlechter, mit exponentieller Abnahme. Swisscom behalf sich deshalb mit Glasfaser-Zuleitungen zu Street-Cabinets im Quartier, um die Kupferleitung zu verkürzen und adäquate Bandbreiten (VDSL, G.fast) auch in Gebieten fernab der Zentralen zu erreichen. Den Wettbewerbern war diese Investition aufgrund geringer Marktanteile nicht kostendeckend möglich, sie wichen deshalb auf das Vorleistungsprodukt BBCS aus. Der Swisscom war das recht, denn sie konnte dadurch den Breitbandwettbewerb sowohl bei der Technologie wie auch beim Preis vorbestimmen. Ein Brancheninsider nannte das Phänomen mal spöttisch «Wettbewerb von Swisscoms Gnaden».

Die Anzahl der entbündelten TAL-Anschlüsse nahm seit dem Peak im Jahr 2012 rapide ab. Der Bedarf an hohen Bandbreiten und der Fortschritt bei der Technologie hatte den Nebeneffekt der Deregulierung. Auch war die FTTH-Glasfaser noch komplett unreguliert, obwohl bis 2018 weit über eine Million Haushalte und Gewerbe mit FTTH erschlossen waren. Deshalb forderte der Bundesrat in seiner Botschaft zur neuerlichen Revision des FMG eine technologieneutrale Regulierung. Die damalige UVEK-Chefin Doris Leuthard sagte in der Debatte des Ständerats folgendes:

«Der Bundesrat hat in den letzten Jahren auf Legiferierungen [Gesetzgebung] verzichtet […], weil wir mit der Branche abgemacht haben, die Glasfaserinvestitionen nicht zu bremsen […], wir haben an einem runden Tisch mit den verschiedenen Akteuren Spielregeln aufgestellt, zum Beispiel die Regel, […] dass man vierfaserige Glasfaserkabel installiert, damit verschiedene Anbieter Zugang zu diesen Technologien haben und die Kosten kleiner sind.»

Die Swisscom-Lobbyisten schafften es aber, den Ständerat dazu zu bringen, den Artikel der technologieneutralen Regulierung aus dem Gesetzesentwurf zu streichen. Das revidierte FMG, in Kraft seit 2021, ist aus Sicht des Wettbewerbs eine zahnlose Angelegenheit; im Wesentlichen basiert es auf dem Vertrauen, dass Swisscom sich schon konform verhalten und die Wettbewerber nicht behindern werde. Bundesrätin Leuthard glaubte den Beteuerungen, dass die Glasfaser-Spielregeln des Runden Tischs weiterhin Gültigkeit hätten.

Swisscom führt Bundesbern in die Irre

Kaum war die technologieneutrale Regulierung im Parlament definitiv vom Tisch, kündigte Swisscom im Februar 2020 den Bau von FTTH für weitere 1.5 Millionen Haushalte bis 2025 an, dies jedoch mit einer geänderten Netztopologie. Anstelle der wie am Runden Tisch vereinbarten P2P-Netztopologie wurde neu P2MP Point-to-Multipoint vorgesehen (siehe Blog-Eintrag Unterschied P2P vs. P2MP). Swisscom wollte so die Glasfaser monopolisieren, indem sie mit der gebauten Netz-Topologie auch für Wettbewerber festsetzen konnte, welche Elektronik sich überhaupt noch eignet. Zudem ist Rentabilität bei P2MP nur gegeben, wenn ein Provider einen mittleren zweistelligen Marktanteil erreicht. Kleinere Wettbewerberinnen wären so gezwungen gewesen, die vorkonfektionierten BBCS-Produkte weiterzuverkaufen oder aber sich vom Markt komplett zu verabschieden. Aus kartellrechtlicher Betrachtung war es also klar, dass Swisscom ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht, denn der vereinbarte «Open Access»-Zugang wird durch die P2MP-Netztopologie verhindert. Nur drei Wochen nach der Ankündigung von Swisscom, bereits im Februar 2020, startete die WEKO (Wettbewerbskommission) deshalb eine erste Vorabklärung.

Init7 erstattet Anzeige

Nachdem mehr und mehr FTTH-Anschlüsse mit der neuen Netztopologie in die Vermarktung kommen, auf denen die von Init7 präferierten Produkte nicht mehr möglich waren, erstattet Init7 im September 2020 Anzeige gegen Swisscom bei der WEKO. Die Sendung „10vor10“ des Schweizer Fernsehens berichtete kurz zuvor über die Problematik.

Vorsorgliche Massnahme

Die WEKO eröffnete nur drei Monate nach der Anzeige ein Verfahren und erliess am 14. Dezember 2020 eine vorsorgliche Massnahme (VM) gegen Swisscom. Ab sofort durfte Swisscom keine FTTH nach der P2MP-Netztopologie mehr bauen und vermarkten. Dies, weil während der mutmasslich langen Verfahrensdauer Swisscom ein «Fait accompli» schaffen könnte. Damit bestätigt die WEKO die Gefahr künftiger Wettbewerbsverzerrung im Markt der Internetanschlüsse. Bedenkt man, dass FTTH-Glasfasern für Dekaden in Betrieb sein werden, wäre es für die Schweizer Volkswirtschaft fatal gewesen, Swisscom einfach gewähren zu lassen im Ansinnen, ein Glasfasermonopol zu errichten.

Swisscom ignoriert WEKO

Im Januar 2021 reichte Swisscom gegen den WEKO-Entscheid bei der ersten Rekursinstanz, dem Bundesverwaltungsgericht (BVGER) in St. Gallen, Beschwerde ein. Daraufhin lud das BVGER zu einem Hearing, wo VertreterInnen der WEKO, Swisscom wie auch Init7 als sogenannte Beigeladene vertreten waren.

Beschwerde abgewiesen

Die Beschwerde von Swisscom wird am 30. September 2021 in einem 219-seitigen überaus deutlichen Urteil vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen. Es führt unter anderem aus, dass die kollaborativen Beschlüsse des Runden Tischs nach wie vor wichtige Gültigkeit haben und sich ein wichtiger Player wie Swisscom nicht durch die Hintertür daraus verabschieden darf. Auch das viel bemühte Argument, P2P sei «viel» teurer als P2MP, wurde vom BVGER zerpflückt. Mehrkosten von maximal 20% seien tolerierbar, weil diese bereits dem Runden Tisch bekannt waren und sich Swisscom seinerzeit selber sehr für das Vier-Faser-Modell eingesetzt hat.

Swisscom stoppte nach dem BVGER-Verdikt im Oktober 2021 die Vermarktung von etwa 93’000 illegal gebauter FTTH-Anschlüsse. Solche, die bereits in Betrieb waren, wurden allerdings nicht abgeschaltet.

Swisscom ignoriert WEKO und BVGER

Trotz des laufenden Verfahrens und dem verfügten Baustopp der P2MP-Netztopologie hielt Swisscom unbeirrt an ihren Plänen fest und erstellte insgesamt weit über 600000 FTTH-Anschlüsse in der illegalen Bauweise. Ein guter Teil davon ist nach wie vor in Betrieb, allerdings sind derzeit noch mehr Anschlüsse blockiert. Die sture Haltung von Swisscom, nicht von ihrem Monopol-Ansinnen abzurücken, verhindert, dass mehrere hunderttausend Haushalte und Gewerbe in der ganzen Schweiz zwar Glasfaser bis in ihr Gebäude haben, diese aber nicht nutzen dürfen und sich weiterhin mit ihrer Kupferleitung zufriedengeben müssen.

Erneute Beschwerde von Swisscom

Swisscom zieht das aus ihrer Sicht negative Urteil des Bundesverwaltungsgerichts an die zweite und letzte Rekursinstanz, dem Bundesgericht (BGer) in Lausanne weiter. Sie beantragte die Aufhebung der vorsorglichen Massnahme, um während des laufenden mehrjährigen Hauptverfahrens weiter P2MP bauen zu können. Das BGer lehnte den Antrag am 6. Dezember 2021 ab. Doch auch dieses Urteil akzeptiert Swisscom nicht und setzt den P2MP-Ausbau trotzdem fort.

Swisscom-CEO Urs Schaeppi muss zurücktreten

Im Februar 2022 kündigt Swisscom an, dass ihr CEO Urs Schaeppi – nicht ohne fürstliche Abfindung – gehen muss. Er war neun Jahre lang im Amt und ist massgeblich verantwortlich für den Versuch, das Glasfasernetz zu monopolisieren. Sein Nachfolger Christoph Aeschlimann kündigt im Oktober 2022 an, dass Swisscom wieder FTTH-Glasfaser nach der P2P-Netztopologie bauen werde und die durch den Rechtsstreit blockierten Anschlüssen teilweise auf P2P umgebaut werden sollen. Dieses Eingeständnis trotz des noch beim Bundesgericht hängigen Verfahrens ist bemerkenswert; offenbar kam man in der Führungsetage von Swisscom zur späten Einsicht, dass das Pferd tot war, auf dem man zu reiten versuchte.

Vorsorgliche Massnahme letztinstanzlich bestätigt

Am 2. November 2022 bestätigt das Bundesgericht die vorsorgliche Massnahme letztinstanzlich. Der Ausbau und die Vermarktung von Glasfaser mit der P2MP-Netztopologie wird der Swisscom definitiv verboten.

Feeder Cleanup

Im Dezember 2022 schickte Swisscom eine Liste des Projekts «Feeder Cleanup» mit der Ankündigung, etwa 36600 illegale Anschlüsse auf die konforme Bauweise in etwa 110 Zentralen umzubauen. Dieser Umbau wird allerdings mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen. Einige Monate später kam dann das Eingeständnis, dass nicht nur teilweise, sondern vollständig auf das legale P2P umgebaut würde.

Abschluss des Hauptverfahrens

Während das Verfahren um die vorsorgliche Massnahme rechtskräftig durch das Bundesgericht abgeschlossen wurde, brauchte das Hauptverfahren bis zum finalen Entscheid mehrere Monate. Im vergangenen Herbst 2023 wurde der 170-seitige Antrag des WEKO-Sekretariats an die WEKO allen Verfahrensbeteiligten zur Vernehmlassung vorgelegt und am 20. November 2023 führte die WEKO zudem ein Hearing durch.

Der Entscheid der WEKO wurde am 25.04.2024 bekanntgegeben. Die Swisscom muss 18,4 Mio. Franken Kartellrechtsbusse bezahlen und darf das Glasfasernetz nicht monopolisieren. Der bescheidene Bussbetrag irritiert zwar aufgrund der langen Vorgeschichte und der Uneinsichtigkeit, welche die Verantwortlichen an den Tag gelegt haben. Relevant ist aber, dass die WEKO hart bleibt und Vorgaben zum Glasfaser-Ausbau erlässt, damit der Innovationswettbewerb nicht behindert wird. Der Swisscom wird es definitiv verboten, eine P2MP Netztopologie zu bauen und zu vermarkten. Die bereits erstellten illegalen etwa 750000 Anschlüsse müssen bis Ende 2025 umgebaut oder abgeschaltet werden. Swisscom indes hat bereits angekündigt, gegen die Verfügung der WEKO zu rekurrieren. Damit dürfte das Verfahren noch weitere Jahre in Anspruch nehmen, während die Instanzen, also Bundesverwaltungsgericht und Bundesgericht sich mit dem Rekurs beschäftigen.

Kommentar

Swisscom hat in der zweiten Revision des Fernmeldegesetz FMG einen Pyrrhus-Sieg errungen und konnte die Mehrheit des Ständerats davon überzeugen, die technologieneutrale Regulierung aus dem Gesetzesentwurf zu streichen. Dass sie nach Abschluss der FMG-Debatte auf die wettbewerbsverzerrende P2MP-Netztopologie umschwenken würde, war indes Swisscom-intern bereits Anfang 2018 bekannt, wie das «Geheimplan»-Dokument mit dem Titel «Beweisführung der zukünftigen Kooperationsfähigkeit» zeigt.

Bedenklich ist auch, dass sich Swisscom zwar im Mehrheitsbesitz des Bundes befindet, der Bundesrat aber mit seiner Laisser-faire Politik keinerlei Druck auf den Swisscom-Verwaltungsrat ausübte, die Infrastruktur im Sinne der Schweizerischen Volkswirtschaft zu erstellen. Der Bundesvertreter im Swisscom-VR schien bloss eine Abnick-Marionette zu mimen.

Auch die Parteien in Bundesbern scheinen eher desinteressiert. Die SP schluckt das jährliche Dividenden-Valium von Swisscom von 22 Franken pro Aktie und verkennt, dass es bei der Glasfaser-Infrastruktur um einen schützenswerten Service Public geht, dessen Verteidigung man besser nicht den Neoliberalen überlassen sollte. Die marktgläubigen Freisinnigen haben umgekehrt nicht begriffen, dass nur eine strenge Regulierung im Vorleistungsmarkt den maximalen Wettbewerb im Endkundenmarkt sicherstellt. Ein Parlamentarier der SVP war besonders sachfremd mit seiner Argumentation, Swisscom sei doch eine «gute Firma» und sponsore zahlreiche Sportveranstaltungen im ganzen Land.

Der «Glasfaserstreit» ist – nebst dem riesigen Zeitverlust, wo zahllose Menschen und Firmen länger auf Glasfaser warten müssen – auch richtig teuer. Der Umbau auf die konforme P2P-Bauweise dürfte Swisscom vermutlich gegen eine halbe Milliarde Franken kosten. Dazu kommen nicht realisierte Erträge durch die vorsorgliche Massnahme, und schliesslich noch die Kartellrechtsbusse. Man fragt sich schon, warum die verantwortlichen Personen in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung bei Swisscom persönlich ungeschoren davonkommen; im Gegenteil, dem gefeuerten CEO Schaeppi hat man noch eine Million Franken Abfindung bezahlt.

Doch auch Bundesbern muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die gescheiterte Regulierung in der FMG-Revision den «Glasfaserstreit» erst ermöglichte. Dass man mit dem Kartellgesetz das «missratene» Fernmeldegesetz flicken muss, spricht nicht für die Weitsicht des Ständerats, der – entgegen dem Willen von Bundesrat, ComCom, BAKOM, Nationalrat und der gesamten Telekomindustrie – die Regulierung versenkte. Man kann hoffen, dass in der neuen Legislatur demnächst eine dritte FMG-Revision angestossen wird, die das Versäumnis der zweiten Revision nachholt.

Glossar

WEKO

Die Aufgaben der Wettbewerbskommission sind die Bekämpfung von schädlichen Kartellen, die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, die Durchführung der Fusionskontrolle sowie die Verhinderung staatlicher Beschränkungen des Wettbewerbs und des interkantonalen Wirtschaftsverkehrs.
Quelle

BAKOM

Das Bundesamt für Kommunikation ist zuständig für die Telekommunikation, die Medien und das Postwesen der Schweiz und sorgt für eine stabile und fortschrittliche Kommunikationsinfrastruktur. Es ist Teil des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
Quelle

BVGer

Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) mit Sitz in St. Gallen ist das allgemeine Verwaltungsgericht der Schweiz. 
Quelle

BGer
Das schweizerische Bundesgericht (BGer) mit Sitz in Lausanne ist die höchste richterliche Behörde der Schweiz. Neben der Bundesversammlung (Legislative) und dem Bundesrat (Exekutive) verkörpert es die dritte Staatsgewalt des Bundes, die Justiz (Judikative).
Quelle