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30.01.2023
zuletzt aktualisiert am 06.03.2024

Alles, nur nicht fair: Die «Fair Share»-Initiative

Im Februar 2022 forderten vier der grössten europäischen Internetprovider, dass sich Content-Anbieter wie Google, Meta und Co. finanziell am Netzausbau beteiligen. Dies, weil sie für den Grossteil des Datenverkehrs verantwortlich seien. In Tat und Wahrheit geht es den Telekomunternehmen mit ihrer «Fair Share»-Initiative jedoch nur darum, doppelt abzukassieren und die Netzneutralität zu untergraben.

Wie der Content zum Nutzer kommt

Das Internet besteht aus einer Vielzahl zusammengeschlossener Netzwerke, sogenannter Autonomer Systeme (AS). Die AS gehören Internetprovidern, Content-Anbietern (wie Amazon, Meta oder Google) oder anderen Unternehmen.

Die Endnutzer sind immer mit dem AS ihres Internetproviders verbunden. Wer einem bestimmten Endnutzer Daten schicken möchte, muss diese also zwingend ins AS des jeweiligen Internetproviders schicken. Wenn ein Init7-Kunde ein Video streamt, muss der Content-Anbieter die entsprechenden Daten zwingend ins AS von Init7 schicken. Das AS des Internetproviders ist für den Endnutzer die «Schleuse» zum Internet.

Daher tauschen die AS untereinander permanent Daten aus. Dieser Datenaustausch erfolgt an sogenannten Interkonnektionspunkten. Dort verbinden sich die AS miteinander.

In der Regel findet der Datenaustausch ohne gegenseitige Verrechnung statt, weil der Aufwand für beide Parteien etwa gleich gross ist («Zero Settlement Peering»). Wenn jedoch kein gemeinsamer Interkonnektionspunkt vorhanden ist und die Daten über Drittanbieter ausgetauscht werden müssen, wird der Aufwand in Rechnung gestellt (Stichwort «Transit»)

Autonome Systeme; Quelle: www.elektronik-kompendium.de

➔ Wer es genauer wissen will: Der Blog-Beitrag «To peer or not to peer – Kartelle im Internet» bietet eine detaillierte Beschreibung des Datenaustauschs zwischen den AS.

Der Nutzer entschädigt den Aufwand durch Abonnementsgebühren

Das System beruht auf dem Grundsatz «Calling Party Pays». Die Devise stammt aus der herkömmlichen Telefonie: Wer einen Anruf tätigt, bezahlt dafür. Schliesslich ist es der Anrufer, der verlangt, dass Daten fliessen. Im Internet ist der Endnutzer der «Anrufer», denn in dem Moment, in dem er auf den Play-Button eines Videos klickt, fordert er Daten an.

Den entsprechenden Aufwand seines Internetproviders und seines Content-Anbieters entschädigt der Endnutzer durch die Bezahlung seiner Abonnementsgebühr.

Die «Fair Share»-Initiative

Nun fordern grosse europäische Telekomanbieter (European Telecommunications Network Operators‘ Association ETNO) mit der sogenannten «Fair Share»-Initiative, dass sich Content-Anbieter finanziell am Unterhalt und am Ausbau der Netzinfrastruktur beteiligen.

Begründet wird die Forderung damit, dass Video-Streaming, Spiele und soziale Medien über 70 Prozent des Datenverkehrs verursachen. Die Content-Anbieter profitierten von den Investitionen der Telekomanbieter und von zu geringen Kosten, heisst es seitens der Initianten. Ausserdem hätten sie ohne Kostenbeteiligung keinen Anreiz, ihren Datenverkehr zu optimieren und so zum Klimaschutz beizutragen.

Doch diese Begründung ist nur ein Vorwand der Telekomanbieter, um doppelt abzukassieren und die Netzneutralität zu untergraben.

Initianten wollen doppelt kassieren

Konkret fordern die Initianten, dass die Content-Anbieter den Internetprovidern für das Übermitteln der Daten Geld zahlen («Sending Party Pays»). 2012 wurde diese Forderung bereits einmal gestellt, aber von den Behörden abgelehnt.

Der Endnutzer bezahlt seinem Internetprovider bereits Abonnementsgebühren für genau diesen Datenverkehr, der nun zusätzlich auch noch den Content-Anbietern in Rechnung gestellt werden soll.

Aus «Calling Party Pays» würde «Calling and Sending Parties Pay» und die Internetprovider kassierten doppelt.

Grosse Datenmengen sind nicht der Kostentreiber

Entgegen den Behauptungen der Initianten verursachen grosse Datenmengen nicht signifikant höhere Kosten. Wenn mehr Daten versendet werden, braucht es zwar mehr Infrastruktur, doch das betrifft Internetprovider und Content-Anbieter gleichermassen. Gleichzeitig steigen auf beiden Seiten die Einnahmen, denn ein grösseres Datenvolumen ist die Folge steigender Kundenzahlen und somit steigender Umsätze. Ausserdem sind die Preise für die zusätzliche Infrastruktur heutzutage so tief, dass die Investitionen für Interkonnektions-Infrastruktur kaum ins Gewicht fallen.

«Fair Share»-Kosten würden auf Endnutzer abgewälzt

Die Initianten argumentieren, die «Fair Share»-Gebühren würden nur die Big-Tech-Konzerne betreffen, doch das stimmt nicht. Die Konzerne würden die zusätzlichen Auslagen ihren Kunden weiterverrechnen. Das Streaming-Abo, Cloud-Dienste, Webhosting – alles würde teurer. Und schlussendlich wären es Privatpersonen und Unternehmen, die zur Kasse gebeten würden.

Wachstum einzelner Länder würde gehemmt

Die Kunden grosser Content-Anbieter verursachen im globalen Vergleich zwar sehr viel Traffic, schaut man sich aber die Zahlen einzelner Länder an, wird häufig ein grosser Teil des Datenverkehrs bei inländischen Content-Anbietern (Medien, Rundfunk, Unternehmen) angefragt.

Würde nun von den grössten Content-Anbietern eines Landes Gebühren verlangt, wäre es für Unternehmen unattraktiv, die entsprechende Grösse zu erlangen und die «Bezahlschwelle» zu erreichen. Das inländische Wachstum würde so gehemmt.

«Fair Share» ist keine Klimasteuer

Die Initianten argumentieren, dass die Content-Anbieter keinen Anreiz hätten, ihren Datenverkehr zu optimieren und so zum Klimaschutz beizutragen, wenn sie nicht dafür bezahlen müssten. Doch auch die Content-Anbieter verfügen über eine Infrastruktur, für die Investitionen anfallen. Sie haben also durchaus einen Anreiz, ihre Infrastruktur möglichst effizient zu nutzen und entsprechend zum Klimaschutz beizutragen.

Die Initianten fordern hier Präventionsmassnahmen in Form von zusätzlichen Abgaben. Das ist nichts anderes als eine Klimasteuer. Weshalb das Geld jedoch nicht dem Staat, sondern den Internetprovidern in die Tasche fliessen soll, wird nicht begründet.

«Fair Share» verstösst gegen die Netzneutralität

Unter Netzneutralität wird die Gleichbehandlung der Daten im Internet verstanden. Das heisst, Autonome Systeme dürfen beim Weiterleiten von Daten (an weitere AS oder Endnutzer) keine Daten bevorzugen.

Ein neutrales Netz ist unerlässlich für ein offenes und freies Internet, um allen Teilnehmern Zugang zu allen Inhalten zu gewährleisten.

Wie eingangs erwähnt, müssen alle Daten, die einen bestimmten Endnutzer erreichen sollen, zwingend ins AS des entsprechenden Internetproviders. Die Internetprovider haben also ein technisches Monopol über ihre Kunden. Die Content-Anbieter müssen zwingend mit dem Internetprovider zusammenarbeiten.

Die Idee, dass Content-Anbieter Geld bezahlen müssen, um in einem bestimmen AS und für bestimmte Endnutzer überhaupt erreichbar zu sein, verstösst gegen die Netzneutralität. Genauso wie die Folge dessen, nämlich dass Endnutzer je nach genutztem Dienst mehr für ihren Internetzugang bezahlen. Zwar nicht über die Abonnementsgebühr des Internetproviders, aber über jene des Content-Anbieters (weil die Kosten wie oben erwähnt auf die Nutzer abgewälzt würden).

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