To peer or not to peer – Kartelle im Internet
Wer das Internet nutzt, empfängt und versendet Daten über eine Vielzahl von Routern, die untereinander zu Netzwerken (sogenannten Autonomen Systemen) zusammengeschlossen sind. Dieser Datenaustausch kann sowohl auf kostenloser Basis erfolgen als auch mit Gebühren zulasten der Autonomen Systeme verbunden sein. Und da der Markt kaum reguliert ist, bietet er mächtigen Autonomen Systemen Möglichkeiten, den Wettbewerb zu kontrollieren und den eigenen Profit zu maximieren. Ein Beispiel dafür ist das Kartell zwischen Swisscom und der Deutschen Telekom, mit dem sich die Schweizer Behörden derzeit auseinandersetzen.
Im Internet werden permanent Daten ausgetauscht. Wer eine Webseite aufruft, schickt dem Server, auf dem die Inhalte der Webseite gespeichert sind, eine Anfrage. Der Server schickt dem anfragenden Gerät daraufhin die Inhalte der Webseite.
Dieser Datenaustausch erfolgt jedoch nicht auf direktem Weg zwischen A und B, sondern indirekt über Netzwerke aus zusammengeschlossenen Routern. So kann jeder mit jedem kommunizieren und jeder hat grundsätzlich Zugriff auf alle Inhalte des Internets. Diese Router-Netzwerke werden als Autonome Systeme (AS) bezeichnet.
Das Internet besteht aus zehntausenden globalen AS, die direkt oder indirekt miteinander verbunden sind. Die Daten werden zwischen den verschiedenen AS verschickt und empfangen. Ein AS hat eine global einmalige Nummer und kann aus bloss einem einzigen Router oder aus mehreren tausend Routern bestehen. Betreiber der AS sind Anbieter von Internetdiensten wie Init7 mit der AS-Nummer AS13030.
Interkonnektion
Wer ein Internetabo bei Init7 hat, ist Teil des AS von Init7. Damit sich Init7-Kunden jedoch auch mit Zielen ausserhalb des AS von Init7 verbinden können, ist das AS von Init7 mit anderen AS zusammengeschaltet. Die Daten können so über mehrere AS fliessen, bis sie ihr Ziel erreichen. Diese Zusammenschaltung von zwei AS wird Interkonnektion genannt. Der Datenaustausch findet an den sogenannten Interkonnektionspunkten statt. Dort verbinden sich die AS entweder über ein exklusives Glasfaserkabel (PNI Private Network Interconnect) oder über einen Internet Exchange.
Wichtige Interkonnektionspunkte in der Schweiz sind carrier-neutrale Datencenter wie Equinix (Zürich) und Interxion (Glattbrugg), aber auch Forschungsstandorte wie CERN (Genf).
Peering
Peering ist eine Art der Interkonnektion, bei der zwei AS Daten zwischen ihren jeweiligen Kunden austauschen (z. B. Mailverkehr zwischen Init7-Kunde X und Swisscom-Kunde Y). Es sind keine weiteren AS in den Datenaustausch involviert.
Interkonnektion bedeutet für die AS einen gewissen Aufwand. Da dieser Aufwand beim Peering prinzipiell aber für beide AS gleich gross ist, einigen sie sich meistens auf einen Austausch ohne entsprechende Gebührenverrechnung. Peering ist also in der Regel «gratis», man spricht auch von «Zero Settlement Peering».
Transit
Doch nicht alle AS können sich direkt miteinander verbinden – sei es, weil kein gemeinsamer Interkonnektionspunkt vorhanden ist oder weil das Datenvolumen der Interkonnektion zu klein ist und sich die mit der Errichtung eines Peerings einhergehenden Investitionen in die Hardware nicht lohnen.
In diesem Fall bezieht ein AS von einem anderen AS Transit. Das heisst, ein AS übermittelt seine Daten nicht direkt an das Ziel-AS, sondern via einen Transitanbieter, sozusagen via ein «Zwischen-AS». Der Transitanbieter stellt dabei sicher, dass die Daten (direkt oder indirekt) an alle Netze weltweit gesendet werden können (mittels eigener Peering- oder Transitvereinbarungen). Dadurch entstehen für ihn zusätzliche Kosten, die durch den Transitnachfrager beglichen werden.
Hierarchie der Autonomen Systeme
AS werden je nach Grösse in Tier-1-, Tier-2-, oder Tier-3-Netze eingestuft. Es gibt keine offizielle Definition der einzelnen Stufen und die Abgrenzung ist auch nicht immer ganz klar. Grundsätzlich können die drei Kategorien wie folgt definiert werden:
- Tier 1: Netzanbieter dieser Stufe betreiben grosse, meist globale Netzwerke und müssen sämtliche anderen Tier-1-AS via Peering erreichen, also ohne sie dass für den Datenverkehr Transitverbindungen nachfragen müssen. Kleineren AS bieten sie Transitleistungen an.
- Tier 2: Zu den Tier-2-Netzanbietern zählen mittelgrosse, meist nationale Dienstleister, die einen grossen Teil ihres Datenverkehrs ohne Transit abwickeln können. Sie sind sowohl Anbieter auch als Nachfrager von Transitleistungen. Init7 erreicht als Tier-2-Netzanbieter rund 65% aller globalen Internet-Destintationen via Peering. Über diese Peerings wickelt Init7 rund 98% des gesamten Datenverkehrs ab.
- Tier 3: Hierzu zählen kleinere, meist regionale Dienstleister oder Unternehmen, die keine direkten Peeringverbindungen haben und ausschliesslich auf Transit angewiesen sind.
Wer bezahlt den Traffic?
In der herkömmlichen Telefonie gilt mit dem Grundsatz «Calling Party Pays» das Verursacherprinzip: Derjenige, der einen Anruf tätigt (also Daten verlangt), bezahlt auch dafür. Überträgt man dies auf das Internet, ist der Endkunde der «Anrufer», da er derjenige ist, der Daten anfragt (z.B. ein Netflix-Video). Somit verursacht der Endkunde den Datentraffic und nicht der Content-Anbieter.
Nichtsdestotrotz haben sich die erwähnten Zero-Settlement-Peerings ohne Verrechnung etabliert und werden fast überall angewendet. Dies, weil es keinen Unterschied macht, welcher Peering-Partner die grössere Datenmenge sendet, da die Kosten für die Infrastruktur nicht davon abhängen, in welche Richtung die Daten fliessen. Der Traffic ist also «gratis», weil jeder Partner seine eigenen Kosten trägt. Der Nutzen ist für beide Parteien gegeben, weil beide Transitkosten einsparen («Mutual Benefit»).
Wie manche Netzanbieter ihre Macht ausnutzen
Einige grosse Internetanbieter haben das Verursacherprinzip jedoch umgekehrt und fordern von Content-Anbietern wie Netflix und Co. Geld für Peering (aus «Calling Party Pays» wird «Sending Party Pays»). Begründet wird dies damit, dass die vom Content-Anbieter gesendete Datenmenge weitaus grösser ist als jene des Endkunden, auch wenn der Endkunde die Daten anfragt.
Dieses Prinzip lässt sich durchsetzen, weil Internetanbieter über ein technisches Monopol über ihre Endkunden verfügen: Egal, woher der Traffic letztlich kommt, er muss auf dem Weg zum Provider-Endkunden immer an einem in der Grafik gelb markierten Interkonnektions-Punkte vorbei. An diesen Orten der Zusammenschaltung verfügt der Netzanbieter eine Art Türsteher-Gewalt. Nur wer die «Gesichtskontrolle» passiert, darf rein. Um den Zugang zu erschweren, passen manche Netzanbieter die Kapazitäten der Interkonnektionen nicht den tatsächlichen Erfordernissen an. D. h., sie sorgen dafür, dass die Leitungen überbucht sind und die Daten mit im Stau stehen (passiv-aggressives Verhalten). Ruckelnde Videos sind die Folge. Dadurch kann der Content-Anbieter dazu gezwungen werden, für Kapazitätserweiterungen Geld zu bezahlen.
Size Matters
Je grösser ein Netzanbieter, desto eher kann er dieses technische Monopol ausnutzen. Doch unabhängig von der Grösse ist bei vielen grossen Netzanbietern in Europa und auch global die Überzeugung gewachsen, das Potenzial der Situation auszuschöpfen. Man hält dem Content-Anbieter quasi die Pistole an die Stirn und sagt: «Zahl für Paid Peering oder deine Daten stehen im Stau!». Kleinere Netzanbieter verbünden sich dabei gerne mit grösseren, um so mehr Geld von den Content-Anbietern zu erpressen. Wer sich hier an einschlägige Mafia-Filme erinnert, liegt nicht ganz falsch.
#Netflixgate
Im Frühjahr 2016 gab es in der Schweiz einen bekannten Fall derartiger Erpressung, der unter dem Hashtag #Netflixgate Schlagzeilen machte.
Ausgelöst wurde #Netflixgate vom Satiriker Viktor Giacobbo mit diesem Tweet:
.@Swisscom_Care Gedenkt ihr, endlich das Netflix-Problem zu lösen – oder soll man zur Konkurrenz wechseln? @NetflixDE @Swisscom_de
— Viktor Giacobbo (@viktorgiacobbo) March 20, 2016
Swisscom verweigerte damals Netflix ein Zero-Settlement-Peering mit der Absicht, Netflix zu einem Paid Peering zu zwingen. Netflix liess sich davon jedoch nicht beeindrucken und liess die Kunden im Swisscom-Netz im Datenstau und somit im Pixelbrei schmoren. Kurzum: Nach nur fünf Tagen knickte Swisscom ein und willigte in ein Zero-Settlement-Peering mit Netflix ein. Zu gross war die Angst, dass Breitbandkunden in Scharen davonlaufen und zur Konkurrenz wechseln würden.
Grösse spielt also durchaus auch für einen Content-Anbieter eine Rolle, und ein global tätiger populärer Anbieter wie Netflix kann durchaus einen (im globalen Kontext) mittelgrossen Provider wie Swisscom in die Knie zwingen.
Das Kartell von Swisscom und der Deutschen Telekom
Mit einem grösseren Fall setzt sich derzeit die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) auseinander. Dabei geht es darum, dass Swisscom und die Deutsche Telekom Vereinbarungen getroffen haben, die andere AS quasi dazu zwingen, ihre Daten via kostenpflichtiges Transit über die Deutsche Telekom an Swisscom zu senden.
Im Detail funktioniert das wie folgt:
Content-Anbieter wie Netflix oder Zattoo senden erwartungsgemäss grosse Datenmengen an ihre Kunden, wenn diese Videos konsumieren. Hat der Kunde sein Internet-Abo bei Swissom, müssen die Content-Anbieter ihre Daten irgendwie ins AS von Swisscom senden.
Theoretisch wäre dies via Peering (direkt zu Swisscom oder über andere AS) möglich. Swisscom stimmt aber keinem kostenlosen Peering zu, sondern verlangt von den Content-Anbietern Geld für die Daten. Begründet wird dies damit, dass das Verhältnis zwischen der gesendeten und der empfangenen Datenmenge stark asymmetrisch ist.
Nun könnten die Content-Anbieter Ihre Daten indirekt via andere AS an die Swisscom schicken. Da Swisscom aber ausschliesslich die Deutsche Telekom als Transitanbieter nutzt, fliessen die Daten früher oder später über deren Netz, solange kein direktes Peering zwischen Content-Anbieter und Swisscom besteht.
Als «Lösung» bietet die Deutsche Telekom den Content-Anbietern kostenpflichtige Transitdienstleistungen ins AS ihres «Vasallen» Swisscom an, die ihrerseits von der Grösse der Deutschen Telekom profitiert und ihre Marktmacht vergrössert. Zusätzlich erhält Swisscom von der Deutschen Telekom einen Teil der Einnahmen aus dem Paid Peering in Form von Rückvergütungen. Und die Deutsche Telekom kann eine doppelte Bezahlung erzwingen, denn sie erhält ja von den Breitbandkunden bereits Geld für den Anschluss.
Die Content-Anbieter haben also keine andere Wahl, als für das Senden ihrer Daten Geld zu bezahlen. Und Swisscom kassiert entweder direkt via bezahltes Peering oder indirekt via Deutsche Telekom Geld. Gleichzeitig bezahlen die Endkunden mit dem Abo-Preis Geld dafür, dass sie Daten empfangen können. Vergleicht man das mit einem Telefongespräch, müssten sowohl die anrufende als auch die angerufene Person das Gespräch bezahlen. Das ist nicht nur verdriesslich, sondern auch kartellrechtswidrig, weil das technische Monopol dazu führt, dass Swisscom eine marktbeherrschende Stellung hat.
Das Interkonnektionsverfahren
2012 wurde Init7 als Transitanbieter des Content-Anbieters Zattoo mit einer derartigen Erpressung von Swisscom konfrontiert. Swisscom schränkte damals die notwendige Peering-Kapazität ohne Ankündigung auf ca. 20% des vorherigen Datenvolumens ein. Dies führte dazu, dass Init7 die Daten von Zattoo nicht mehr in der gewünschten Qualität übertragen konnte und die Zattoo-User vor Pixelbrei sassen. Zattoo sah sich gezwungen, bei Swisscom kurzfristig Peering-Kapazität einzukaufen, in der Folge verlor Init7 den Transitumsatz mit Zattoo. Init7 verlangte daraufhin von der ComCom, gem. Art. 11 FMG eine kostenorientierte Interkonnektion mit Swisscom zu verfügen, was einem Zero-Settlement-Peering entspricht, weil die Kosten für Init7 und Swisscom gleich hoch sind. Das Verfahren dauert seither an.
EU: Content-Anbieter sollen in Netzausbau investieren
Im Februar 2022 forderten 4 der grössten Internetprovider der EU, dass Content-Anbieter einen Teil der Kosten des Netzausbaus übernehmen. Dies mit der Begründung, dass die Content-Anbieter für den Grossteil des Datenverkehrs verantwortlich seien. Diese Forderung ist allerdings ungerechtfertigt, denn verantwortlich für den Datenverkehr sind letztlich die Endkunden dieser Internetprovider: Sie verlangen die Daten, indem sie auf den «Play»-Button ihres Videos klicken. Und die Netzanbieter und die Content-Anbieter werden durch die jeweilige Abo-Gebühr für das Senden der Daten entschädigt. Wie die EU mit der Forderung umgeht, ist derzeit offen. Die Lobbyisten der Provider scheinen mit ihrem erfundenen Narrativ jedoch recht erfolgreich zu sein.